Sebastian Kneipp
Das Leben dieses kantigen, strengen, oft mürrisch dreinblickenden Allgäuer Pfarrers, der seine Berufung darin sah, in selbstlosem Einsatz den Menschen Seelenheil und Gesundheit zu geben, ist geprägt von zahlreichen Schicksalsschlägen. Aber auch beseelt vom katholisch-seelsorgerischen wie psycho-sozialen Wunsch als Priester und Seelsorger der Menschheit dienen und helfen zu können.
Liest man Bücher und Biographien von und über ihn, ist man erstaunt und gleichzeitig betroffen darüber, wie sein Leben verlief. Erstaunt und begeistert über seinen unbeirrbaren Weg zur Erreichung des Lebensziels „Seelsorger“, ergriffen von den zahlreichen Rückschlägen, die ihn immer wieder trafen, die ihn aber nicht entmutigten, sondern weiter vorantrieben. Letztendlich aber auch dankbar für sein Vermächtnis, dem auf fünf Säulen aufgebauten, ganzheitlichen und nach ihm benannten Naturheilverfahren, das heute aktueller denn je ist. Er war einer der wenigen, der den Zusammenhang zwischen körperlichen und seelischen Gebrechen wohl verstanden hatte und darf als Vorreiter einer naturkundlich geprägten Psychosomatik bezeichnet werden.
Am 17. Mai 1821 wurde Sebastian Kneipp – schlicht „Baschtl“ genannt - als viertes Kind des Hauswebers Xaver Kneipp und seiner Frau Rosina, einem Kräuterweiblein, in Stephansried bei Ottobeuren geboren. Niemand konnte ahnen, daß dieses Büblein aus armseligem Hause einst die Welt aufhorchen läßt, daß der Papst ihn empfangen und auszeichnen und daß er zum Ende seines Lebens wie ein Fürst begraben werden würde. Denn Not und Elend herrschten in der Familie Kneipp. Schon als kleiner Bub mußte er zum Familienunterhalt beitragen. Er hütete das Vieh der örtlichen Bauern und half dem Vater am Webstuhl. „Ich mußte schon mit sieben Jahren bis ½ 9 Uhr abends spinnen und mit elf Jahren 5 Ellen Tuch weben. Damals gewöhnte man die Kinder an die Arbeit!“ In den Webkeller durfte kein Sonnenstrahl fallen; außerdem mußte er feucht gehalten werden, ein Abhusten des Staubs vom Keller von seiner Lunge wurde ihm verboten. Zweifellos keimte hier versteckt die Schwindsucht auf, die dem 25jährigen fast das Leben gekostet hätte.
Diese dürftige und mühselige, entbehrungsreiche Kindheit prägte ihn zeitlebens. Auf dem Höhepunkt seiner ruhmvollen Laufbahn erzählte er immer wieder: „Keiner von Euch allen, die Ihr so vor mir steht, wurde wohl so schwer geprüft, wie ich geprüft wurde. Von meinem 11. bis zum 21. Jahre, also volle 10 Jahre, habe ich keine einzige Stunde gehabt, in der mich mein Leben zufriedengestellt hätte...“
Von seiner Mutter, die im Haus ein strenges Regiment führt (worunter der kleine „Baschtl“ sehr litt), erfährt er viel über die wohltätigen Kräuter, deren Verwendung und Heilkräfte. Dabei erlernte er aus dem Verhalten der Natur vieles, das er später zu verwerten wußte. In seinen späterer Jahren studierte er die Wirkung der Heilpflanzen mit einer strengen Beobachtungsgabe und entfernte rigoros jegliche Mystik der Pflanzenheilkunde wie sie mittelalterlichen Quellen wie Hildegard von Bingen anhafteten.
Schon früh, mit etwa zwölf, dreizehn Jahren, wuchs in Kneipp der Wunsch, Geistlicher zu werden. Von einer inneren Stimme, die ihn fortwährend zum Priesterdasein aufruft, spricht Kneipp in seinen Erinnerungen. Später, als Greis, wußte er mit Bestimmtheit, daß all die Beschwernisse seiner Jugend, die Vorbereitung auf einen Weg waren, den Gott vorbestimmte.
Doch sein Vater, geplagt von Geldsorgen, wollte von dieser Berufung nichts wissen. „Wollte dich der Herrgott zum Studenten, dann hätte er uns auch Geld gegeben.“ Der Kummer nagte an Kneipp, weil er einsehen mußte, daß sein Herzenswunsch kaum in Erfüllung gehen konnte. Mit 18 Jahren wirkte er so gealtert, daß ihn Fremde für den Bruder seines Vaters hielten.
Doch Kneipp gab nicht auf. Er suchte Kontakt zu den Pfarrherren in der Umgebung, wanderte bis Augsburg und München, um seinen Wunsch Priester zu werden, vorzutragen. Selbst beschließt er, sich das nötige Geld zu sparen und arbeitet dafür Tag und Nacht. Und wieder ereilte den damals 20 jährigen ein Schicksalsschlag – das Elternhaus brennt ab, das angesparte Geld (70 Gulden) geht verloren. Mit Blick auf dieses fürchterliche Geschehen bekannte Jahrzehnte später der alte Pfarrer Kneipp: „Ein Gutes hat dieses Unglück gehabt: Seit dieser Zeit habe ich nie mehr Geld gezählt.“