Jahre des Aufbaus...

...Kneipp widmete sich weiteren Aufgaben: Er wirkte als Lehrer und Erzieher in der Mädchenschule des Klosters, unterrichtete die Knaben des Ortes in Religion und Rechnen, übernahm des Unterricht an der Mädchenschule im benachbarten Türkheim und führte die Kinder heran an die Natur. Der Tag von Sebastian Kneipp war mit diesen Aufgaben rundum ausgefüllt. Aber seine zweite Berufung ließ ihm keine Ruhe: So fand er noch genügend Zeit, um bei seinen Besuchen in den Familien der ihm anvertrauten Gemeinden bei Krankheitsfällen heilend einzugreifen.. Die sprach sich herum und so kamen bald Heilungssuchende aus dem Ort und der Umgebung, bald auch Amtsbrüder, die er im eigens errichteten Badehäuschen im Klostergarten und in der Waschküche des Pfarrhofes mit Güssen aus der Gießkanne und Teilbädern im Holzbottich behandelte.

 Seine heilerische Tätigkeit war zunächst reine Therapie akuter und chronischer Krankheiten, basierend auf das zu seiner Zeit schon hochentwickelte, aber noch sehr radikal gehandhabte Wasserheilverfahren und die Verwendung von Heilkräutern.

Die Jahre zwischen 1855 und 1880, in denen er sinnend und wägend, prüfend und tastend mit eigener Hand das Wasser, das durch ihn vielen zum letzten Heilmittel werden sollte, handhabte, waren für ihn überaus bedeutend. Seine Lehre von der Heilkraft des kalten Wassers (genauer: die erhitzte Hautoberfläche an den verschiedensten Extremitäten überraschend in einen Reizzustand versetzt, um mit dessen Hilfe die Krankheitsstoffe auszutreiben) war zum größeren Teile schon im Altertum bekannt. Mehr oder weniger „Wasserärzte“ hatte es zu allen Zeiten gegeben. Aber Kneipps persönlicher Heilerfolg war für ihn Motivation die Anzahl der bis dahin bekannten und erprobten Wasseranwendungen zu erweitern, zu kombinieren und in ein erfolgreiches Präventiv- und Heilsystem mit immer weiter verbesserten und verfeinerten Methoden zu bringen. Die praktische Auswahl seiner Wasseranwendungen zur Selbstheilung und zur Behandlung der Heilungssuchenden bezog sich zunächst auf die Qualität „kalt“: Güsse aus der Gießkanne, später aus dem Schlauch, Wassertreten, teil- und Vollbäder in Wanne oder freier Natur und kalte Körperwickel. Im Laufe der Zeit erweiterte er sein Behandlungsprogramm: warme Teil- und Vollbäder, angereichert mit Absud aus Heublume, Tannenreiser u.a., warme Wickel und Auflagen und verschiedene Körperdämpfe ergänzten sein Behandlungsrepertoire. Dabei ist bemerkensweert, daß seine unterschiedlich verabreichten Güsse (Arm-, Knie-, Schenkel-, Rücken- und Vollgüsse) wie die Vielzahl weiterer Anwendungen das Fazit sind einer mit schärfster Beobachtungsgabe an Zehntausenden von Patienten vollzogenen Behandlung.

Der Ruf des heilenden Pfarrers verbreitete sich immer schneller, und oft waren es die Ärmsten der Armen, die ihn Hilfe suchend konsultieren. 1860 und 1866 mußte Kneipp wegen angeblicher Kurpfuscherei vor Gericht erscheinen. Kneipp verteidigte sich mit den Argumenten, daß er bei seinen Anwendungen lediglich Wasser und Kräuter verwende und auf andere medizinische Mittel verzichte. Seine starke Persönlichkeit, seine Überzeugungskraft und seine Heilerfolge ließen die Richter von einer Strafverfolgung absehen.